EDITORIAL: Osteopathie und Infektionserkrankungen - historisch reflektiert


Editorial

Aus dem Newsletter Mär 2020, © JOLANDOS e.K. 2023

Osteopathie und Infektionserkrankungen - historisch reflektiert


Liebe Freundinnen und Freunde der Osteopathie,

Osteopathie und Infektionserkrankungen - historisch reflektiert

Erlauben Sie mir den Corona-Anlass zu nutzen, um die ursprüngliche Osteopathie in ihrem Verhältnis zu Infektionserkrankungen historisch zu beleuchten, um die dadurch gewonnenen Erkenntnisse auf die moderne Osteopathie zu reflektieren. Hierzu erläutere ich Ihnen zunächst die Grundlagen der ursprünglichen Philosophie der Osteopathie, übertrage die Inhalte in ihrer Bedeutung auf Infektionsmechanismen, erarbeite anschließend die Entstehung der orthodoxen Sichtweise mit ihrer enormen moralischen Wirkung und betrachte von hier aus die moderne Osteopathie in der momentanen Ausnahmesituation. Da es sich um keinen Fachartikel handelt, verzichte ich auf detaillierte Quellennennung. Wer hierzu Fragen hat, kann sich gerne an mich wenden.


Grundlagen der ursprünglichen Philosophie der Osteopathie

In die moderne Sprache übersetzt, besagt A.T. Stills Philosophie der Osteopathie:

  1. Im lebendigen Organismus wirken selbstorganisierende Mechanismen.
  2. Der Mensch ist eine dreifach differenzierte Einheit (mind, matter, motion), d.h. er ist komplex. Erläuterung: Da Wärme nicht von selbst von einem Körper niedriger Temperatur auf einen Körper höherer Temperatur übertragen werden kann, streben alle Prozesse laut des Zweiten Thermodynaischen Hauptsatzes natürlicherweise in Richtung Unordnung bzw. Entropie. In einem lebenden Organismus spielen sich daher aus physikalischer Sicht natürlicherweise fortwährend Zerfallsprozesse ab. In der Bilanz überwiegen jedoch ordnende Prozesse, die dem Zerfall entgegenwirken. Diese positive Bilanz ist bei der Geburt am größten und nimmt im Lauf des Lebens ab. Um sie aufrecht zu erhalten bedarf es mehrerer Komponenten:
  • Eines Leibes, d.h. eines belebten Körpers als somatischer Grundlage (‚matter‘).
  • Leben, das sich u.a. in permanenten physiologischen Stoffwechselprozessen im ausdrückt.
  • von diesen Stoffwechselprozessen erzeugte Wärme- und Bewegungsenergie (‚motion‘), welche dem natürlichen Zerfall auf Basis ordnender Informationen entgegenwirkt.
  • einer ordnenden (intelligenten?) Kraft (bei Still ‚Mind‘), als Quelle jener ordnenden Informationen. Sie begründet damit die Ausformung des Körpers (‚matter‘), bestimmt die Selbstordnung des Leibes (‚motion‘) und spiegelt sich im Menschen vor allem als Verstand (‚mind‘) wider.

Hieraus folgt: Leben und Gesundheit sind aus Sicht der klassischen Physik keine natürlichen Phänomene, da hierzu mit der ordnenden Intelligenz eine physikalisch wirkende Kraft notwendig ist, die dem zweiten Thermodynamischen Hauptsatz widerspricht und somit als nicht-linear bzw. metaphysisch klassifiziert werden kann!

Transportportmedien für die intelligenten Informationen:
  • die drei Flüssigkeitssysteme Blut, Liquor, Lymphe (Transport stofflicher Informationen)
  • Nervensysteme (Transport nicht-stofflicher Informationen).

Aus 1 und 2 folgt:


Gesundheit und Krankheit

Jede direkt oder indirekt durch eine ‚Läsion‘ verursachte Beeinträchtigung der Transportmedien, behindert oder verzerrt den ordnenden Informationsfluss im lebenden Organismus. Damit können sich die selbstregulierenden Mechanismen nicht mehr frei entfalten und die Ordnungsbilanz verschiebt sich Richtung Zerfall ( Krankheit und Tod). Leben und Gesundheit erhalten sich im Umkehrschluss aufgrund des dynamischen und freien Fließens des ordnenden Informationsflusses.


Diagnostik und Therapie

Stets den physiologischen (ordnenden) Zustand im Blick (‚Gesundheit finden‘), gilt es die Ursachen (‚Läsionen‘) zu finden, die den Informationsfluss negativ beeinflussen (‚find it‘), diese an den Organismus anzupassen (‚fix it‘) und den Rest den fließenden ordnenden Informationen, bzw. der sich entfaltenden ordnenden Intelligenz (‚Natur‘) zu überlassen (‚leave it alone‘). (Achtung: Läsion ist nicht gleich Dysfunktion. Siehe hierzu A & B).

Da nach dieser Philosophie alle physiologischen Prozesse ausschließlich natürliche Reaktionen auf etwas sind, führen Läsionen zu hyper- oder hypophysiologischen, aber niemals zu pathologischen Prozessen. Diese verzerrten physiologischen Prozesse können zu pathologischen Strukturen führen. In späten Schriften bezeichnet J.M. Littlejohn dies als Gewebe oder Zellen, die sich nicht in ihren Ursprungszustand zurückentwickeln können (z.B. Narbengewebe).

Symptome und Symptomkomplexe existieren in der Wirklichkeit. Nicht aber die aus ihnen abgeleiteten Krankheitsbegriffe bzw. Krankheiten. Sie dienen lediglich dem besseren akademischen Austausch über physiologische Prozessmuster. Damit spielen sie in der Wirklichkeit des Praxisalltags der ursprünglichen Osteopathie nur eine nachrangige Rolle. Die Wirklichkeit des Patienten steht im Vordergrund. Ursprüngliche Osteopathie ist somit streng physiologie- und nicht pathologieorientiert.


Ursprüngliche Osteopathie – Hochkomplex, milieuorientiert, zellularphysiologisch

A.T. Still beschrieb die eben genannten grundlegenden Prinzipien in seiner ganz eigenen Sprache. Diese interpretierte er im Geist seiner stark mechanistisch-mechanisch-materialistisch geprägten Zeit. Daher waren es für ihn vor allem anatomische Läsionen, die eine Beeinträchtigung des Fließens der Körperflüssigkeiten (dem Transportmedium stofflicher Informationen) bewirkten und somit die eigentliche Ursache für Erkrankungen waren.

J.M. Littlejohn verschob den Fokus ganz auf die bereits schon bei Still angedachte zentrale Bedeutungen der Nervensysteme (Transportmedien für nicht-stoffliche Informationen). Dadurch dehnte er das Läsionsspekturm weit über die Anatomie hinaus. Psyche, Umwelt und Ernährung kamen hinzu.

Noch vor 1910 übertrug Louisa Burns diese Philosophie in Die grundlegenden Prinzipien der Osteopathie auf das zelluläre System. Dabei beschreibt sie, dass Läsionen über die bereits beschriebenen Informationssysteme letztlich immer zu einer Veränderung des inneren und äußeren Zellmilieus führen. Dieses so beeinflusste Milieu bezeichnete sie als anormal. Sie bezieht sich dabei nicht auf menschliche Definitionen von ‚normal‘, sondern auf evolutionsbiologische Prozesse. Burns legt damit erstmals naturwissenschaftlich schlüssig begründete dar, dass Osteopathie ein hochkomplexe, milieuorientierte und vor allem zellularphysiologische Medizinphilosophie ist.


Bedeutung der zellularphysiologischen Osteopathie bei Infektionserkrankungen

Wird der selbstordnende Informationsfluss beeinträchtigt, führt dies zu einer anormalen (nicht: pathologischen) Veränderung der physiologischen Prozesse (Unordnung), und damit zu einem anormalen (nicht: pathologischen) intra- und extrazellulären Milieu. Erst dieses anormale Milieu ermöglicht es den Erregern, pathogen zu wirken und physiologische Notreaktionen mit entsprechenden Symptomen auszulösen. Bei dieser Sichtweise ursprünglichen zellularphysiologischen Osteopathie ist also nicht der Erreger die Primärursache der Infektionserkrankung, sondern ein bereits vorliegendes anormales Milieu. (Anmerkung: Nur bei hochvirulenten Erregern, wie etwa dem Ebola-Virus spielt das Milieu eine untergeordnete Rolle! Der Covid19-Virus ist nach bisherigem Kenntnisstand nicht hochvirulent!)

Osteopathische Behandlungen von Menschen mit Infektionserkrankungen zielten daher in der Gründerzeit konsequenterweise darauf ab, durch manuelle Techniken den ordnenden Informationsfluss zu gewährleisten, der seinerseits für ein normales Milieu sorgt. Den Rest erledigt die Natur: Die Physiologie verdrängt die Pathologie. Wichtig: Dies bedeutet nicht, dass der Organismus den Virus 'besiegt', sondern dass der Erreger innerhalb des Organismus nicht mehr als pathogen wirken kann. Mit diesem zellularphysiologischen Ansatz war die Osteopathie bei der Spanischen Grippe (1918–1920) offensichtlich erfolgreicher als die orthodoxe Medizin.


Orthodoxe Medizin: tendenziell monokausal, erregerorientiert, zellularpathologisch

Etwa zur selben Zeit, als Still seine Philosophie entwickelte, also in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, entdeckte man in Europa, dass der Organismus eine Vereinigung von Zellen darstellt, und dass bei bestimmten Krankheitsverläufen spezifische Keime im Organismus nachgewiesen werden konnten. Die damaligen Bakteriologen schlossen daraus: Liegt ein bestimmtes Milieu vor, können Erreger Krankheiten verursachen. Während Claude Bernard(1813-1878) dem Milieu die entscheidende Bedeutung zuwiesen ("Der Keim ist unbedeutend, das Milieu alles!" Quelle: unbek.), vertrat Louis Pasteur die Position, dass die Keime wichtiger sind. Damit hatte er nicht aus naturwissenschaftlicher, sondern aus kulturhistorischer Sicht einen entscheidenden Trumpf gegenüber seinen Widersachern im Ärmel. Warum?

Der Arzt verstand sich zu jener Zeit als Macher, Kontrolleur der menschlichen Maschine, naturwissenschaftlicher Held im Kampf gegen das Böse und Erlöser von Leiden (Stichwort: ‚heroische Medizin‘). Folgerichtig blendete man das ursächlich bedeutendere, hochkomplexe und nicht als Feind zu bekämpfende Milieu aus und fokussierte von Anfang an auf den Erreger. Man isolierte ihn aus der natürliche Umgebung und züchtete ihn künstlich auf Petrischalen zu riesigen Kolonien, die in dieser Form ebenfalls nie in der Wirklichkeit vorkommen. Aber dadurch geschah etwas nahezu Magisches: Plötzlich wurde der Feind sichtbar! Das passte ideal zur Rolle der heroischen Medizin. Rasch legte man unter völligem Ausblenden der Bedeutung des Milieus (zu dem im Übrigen auch das Alter zählt) fest, dass Erreger die alleinige Ursache für Infektionserkrankungen sind. Pasteur triumphierte, der Milieugedanke wurde von der Keitheorie geradezu weggefegt.

Dies zeigt, dass entscheidende medizinische Entwicklungen stark vom Selbstverständnis der Medizin geprägt werden. Und dieses hängt wiederum maßgeblich vom kulturhistorischen 'Milieu'. Damit erscheint es als Ironie der Geschichte, dass der Sieg der Keim- über die Milieutheorie letztlich ein wunderbares Beispiel für die Richtigkeit der Milieutheorie selbst ist. Bernard behielten recht – 'Der Keim ist unbedeutend, das Milieu alles!'

Konsequenterweise konzentrierte man einen Großteil der medizinschen Forschungsenergie ab diesem Zeitpunkt auf das Bekämpfen von Erregern. Das antike Theaterstück hatte die Vier-Säfte-Lehre wurde nach über 2.000 Jahren, vom Kampf Gute gegen Böse abgelöst. Es passte einfach besser zum jahrhundertealten Einfluss der Kirchendogmen und der Hybris einer fortschrittstrunkenen Wissenschaft mit ihrer festen Überzeugung, sich die Natur Untertan zu machen.

Zurück zur Osteopathie als milieuorientierte Heilkunst und was Sie in der momentanen Situation leisten kann.


Handlungsempfehlungen

Stärken Sie ihr inneres Milieu!

  • Bedachte Kontaktpflege, statt panische Kontaktvereidung!
  • Ausgangssperre bzw. Quarantäne ausschließlich für Hochrisikopatienten.
  • Priorisierung milieuorientierter Maßnahmen:
    • Vermeiden jeder Form unnötiger Emotionalisierung. (Noceboeffekt auf das Immunsystem)
    • Alle Maßnahmen, die entspannend und ausgleichend wirken.
    • Keine Verschleppung tatsächlich behandlungsbedürftiger Zustände.
    • Verwickeln Sie sich nicht in emotionale Diskussionen zu Corona!
    • Ziehen Sie sich zurück und gehen Sie in die Natur.
    • Unterstützen Sie die Schaffung eines positiven Milieus. Bleiben Sie freundlich und optimistisch!
    • Ernähren Sie sich vernünftig.
    • Lesen Sie! Halten Sie Kontakt zu Familie und Freunden.
    • Pflegen oder beginnen sie schöpferische Hobbies.
    • Was immer Ihnen sonst noch einfällt.

Schlussgedanke

Langfristig müssen wir uns zudem alle der Frage stellen, ob es nicht auch aus ethischer Sicht mehr Sinn machen würde, das gesamte Gesundheitssystem vom zellularpathologischen ins zellularphysiologische Zeitalter zu transformieren und zu transindustrialisieren. Ob und inwieweit der Begriff 'Osteopathie' dabei verwendet wird, ist völlig unbedeutend. Man könnte ebenso den Begriff 'Medizin' verwenden. Tatsächlich entspräche dies auch A.T. Stills ursprünglichen Vorstellungen, denn er betrachtete seine Philosophie der Osteopathie als reformiertes medizinisches Denken!



Literaturempfehlungen

Wer sich für deutschsprachige osteopathische Texte interessiert, die sich aus ausschließlich milieu-zentrierter Sicht mit Infektionen, bzw. Symptomen von Infektionserkrankungen und den damit verbundenen anatomisch-physiologischen und/oder zellulären Mechanismen befassen, sei auf folgende Literatur aus der Gründerzeit verwiesen:

Neurophysiologische Informationen

Neurophysiologische und funktionell zelluläre Informationen

Grundsätzliche anatomisch-funktionelle Zusammenhänge

Die all diesen Texten zugrunde liegende Philosophie

Und wer diese Form historisch reflektierter Osteopathie vertiefen möchte findet alle Möglichkeiten hierzu unter hro.jolands.de.



Schneeglöckchen"
Ihnen eine wunderbare Zeit des Innehaltens. Nutzen Sie das.
Gehen Sie in die Natur! Genießen Sie den Frühling!

„Ein Osteopath wird gelehrt, dass er der Natur bis ans Ende vertraut.“ (1)


Ihr

Christian Hartmann
Christian Hartmann
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